Die Digitalisierung von Fertigungsprozessen kann nur dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn sämtliche relevante Parameter und Informationen digital erfasst werden können. Für viele Unternehmen ist jedoch die Anschaffung neuer Maschinen und Anlagen, die bereits alle notwendigen digitalen Schnittstellen bieten, oftmals mit hohen Kosten verbunden und aus Gründen der Nachhaltigkeit nicht immer sinnvoll. Hier bietet Retrofit eine attraktive Alternative.
Was ist Retrofit?
Retrofit bezeichnet die nachträgliche Modernisierung bestehender Maschinen und Produktionsanlagen. Dies erfolgt durch die Implementierung zusätzlicher Sensorsysteme zur Erfassung von Maschinenparametern und gegebenenfalls durch den Austausch veralteter Steuerungssysteme gegen moderne Lösungen. Letztere ermöglichen eine nahtlose Integration in übergeordnete, unternehmensweite Fertigungssteuerungen wie zum Beispiel MES (Manufacturing Execution System).
Typische Retrofit-Maßnahmen
- Erneuerung der gesamten Elektrik und Erstellung aktueller Schaltungsunterlagen
- Austausch veralteter Steuerungs- und Antriebssysteme durch moderne Steuerungs- und Antriebstechnologien sowie aktuelle Bussysteme
- Implementierung einer modernen, modularen Softwarearchitektur für die Bedienung und Steuerung der Anlage inkl. Bedienungsanleitungen
- Einsatz energieeffizienter Komponenten für die Senkung des Energieverbrauchs und damit der Betriebskosten
- Nutzung moderner Automatisierungstechnologien für die Optimierung des Produktionsprozesses
- Kontinuierliches Monitoring der Maschinen und Anlagen durch moderne Sensorsysteme für die vorausschauende Wartung
Quelle: © Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau
Quelle: © Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau
Industrieforum Smarte Fertigung: Retrofit als Weg zur nachhaltigen Produktion
Die Bedeutung des Themas Retrofit wird auch im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Industrieforum Smarte Fertigung“ deutlich. Diese wird zweimal jährlich vom Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau, dem Thüringer Zentrum für Maschinenbau, dem Branchencluster ELMUG eG sowie Innovativ Thüringen der Landesentwicklungsgesellschaft Thüringens organisiert. Einmal pro Jahr widmet sich die Veranstaltung dem Thema Retrofit und zieht jeweils 40 bis 80 Teilnehmende an, was die Relevanz dieses Ansatzes unterstreicht. Dieses Jahr stand die Veranstaltung unter dem Motto ‚Smarte Fertigung – Retrofit entlang des Produktionsprozesses‘ und machte deutlich, dass Retrofit nicht nur Produktionsprozesse strategisch weiterdenkt, sondern auch einen wichtigen Beitrag zu Ressourcenschonung und Nachhaltigkeit leistet.
Nachhaltigkeitsaspekte des Retrofittings
Die Modernisierung bestehender Anlagen leistet auf mehreren Ebenen einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Einerseits werden wertvolle Ressourcen eingespart, da bestehende Infrastrukturen weitergenutzt und der Energie- sowie Rohstoffaufwand für die Herstellung neuer Maschinen vermieden werden. Andererseits ermöglichen moderne Steuerungssysteme und nachgerüstete Sensoren eine effizientere Produktion mit geringerem Energieverbrauch und weniger Ausschuss.
Wichtige Ansatzpunkte für eine ressourcenschonende Digitalisierung
- Ressourcenschonung: Durch den Retrofit von Bestandsanlagen wird deren Nutzungsdauer verlängert, was Energie- und Rohstoffeinsparungen ermöglicht. Die mittels smarter Sensorsysteme mögliche Ermittlung des tatsächlichen Verschleißes von Werkzeugen und Anlagenkomponenten verbessert die Ausnutzung von Werkzeugreststandzeiten.
- Optimierte Gesamtsystemarchitektur: Nachgerüstete Sensoren und prozessnahe Datenverarbeitung erlauben eine umfassende Optimierung der Fertigungsprozesse – sowohl auf Maschinenebene, auf dem Shopfloor als auch unternehmensübergreifend.
- Energieeffiziente Digitalkomponenten: Moderne Antriebs- und Steuerungstechnik, Sensorik, Netzwerktechnik sowie Industrie-PCs und Server tragen maßgeblich zur Reduzierung des Energieverbrauchs bei.
- KI-Einsatz: Edge-KI-Lösungen erfassen nur notwendige Daten und minimieren so die Menge der an übergeordnete Steuerungen zu übertragenden Informationen. Außerdem lassen sich KI-basiert Prognosen für eine optimierte Instandhaltungsplanung mit minimierten Produktionsunterbrechungen ableiten, wobei gleichzeitig die geforderte Prozessqualität über möglichst lange Zeiträume gewährleistet werden kann.
- Abfallvermeidung: Reparierbarkeit, Upgrade- und Recyclingfähigkeit von Maschinen- und Digitalkomponenten verringern das Entstehen von Schrott und Elektronikmüll.
Praxisbeispiel: Langzeitverfügbarkeit von Eisenbahnkommunikationsanlagen
Im Bereich der Eisenbahnkommunikation ist die langfristige Verfügbarkeit von Produkten essenziell. Die Nutzungsdauer von Zugfunkanlagen auf Lokomotiven oder Triebfahrzeugen sowie von Fahrgastinformationssystemen übersteigt oftmals die Lebenszyklen der eingesetzten Komponenten. Für die Funkwerk Kölleda ist Retrofit daher unverzichtbar, um Systeme, die häufig über Jahrzehnte im Einsatz sind, umfassend zu erneuern und zu modernisieren. Die Kunden – Hersteller und Betreiber von Zügen, Lokomotiven und Triebfahrzeugen – sichern so ihre Investitionen und profitieren von einer weiterhin aktuellen und funktionsfähigen Kommunikationstechnik. Besonders im Bereich der Zugfunksysteme setzt Funkwerk auf eine modulare Strategie, die gezielten Austausch einzelner Komponenten ermöglicht.
Praxisbeispiel: Retrofit einer Textilsortieranlage
Ein anschauliches Beispiel für Retrofit liefert die Rex Automatisierungstechnik GmbH. Sie modernisierte eine 4.700 m² große Textilsortieranlage der ReSales Textilhandels und -recycling GmbH in Apolda, die seit 25 Jahren im Zwei-Schicht-Betrieb arbeitet. Aufgrund fehlender Ersatzteile für die veraltete Steuerungstechnik drohte der Stillstand. Deshalb wurde die gesamte elektrische Ausrüstung, die Steuerungstechnik sowie die Software der Anlage erneuert. Dank aktueller Hardwarekomponenten und einer modernen, zukunftsfähigen Softwarearchitektur ist die Betriebssicherheit und Verfügbarkeit der Anlage für die kommenden Jahre gewährleistet.
Fazit: Mit überschaubarem Aufwand kann ein großer Nutzen geschaffen werden
So unterschiedlich die Beispiele und ihre Anwendungsbereiche auch sind, sie zeigen, dass sich mit Retrofit viel erreichen lässt, ohne nennenswert in die Mechanik der Anlage einzugreifen. Grundlage ist natürlich eine gute Planung und ggf. Simulationen, die dann auch z.B. den „Digitalen Zwilling“ des Gesamtsystems genutzt werden können.
Möchten Sie mehr zum Thema erfahren oder vielleicht ein Werkstattgespräch für Ihr Unternehmen anfragen?
Ansprechpartner:
Dr. Frank Spiller
Modellfabrik Smarte Sensorsysteme
Tel: +49 3677 8749-361
E-Mail: spiller@kompetenzzentrum-ilmenau.de
Bildquellen
- Industrieforum Smarte Fertigung 2025: © Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau
- Teilnehmer des Industrieforums in Erfurt: © Mittelstand-Digital Zentrum Ilmenau
- Retrofit im Unternehmen: © Falko Smirat